Initiative Gedenkstätte Eckerwald e.V. |
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Geschichtliche Aufarbeitung Wo die Schwäbische Alb an ihrem Nordtrauf steil abbricht, wo sich dieser Abbruch allmählich verflacht und ins ebene Land hinaus verliert, dort lagern unter der Erdoberfläche mächtige Gesteinsschichten des Schwarzen Jura. Eine Fundgrube an versteinerten Meerestieren stellen diese dunkelgrauen Platten dar; ein Geschichtsbuch für die Zeit des Erdmittelalters. In seiner fünften Schicht, Lias epsilon oder Posidonienschiefer, enthält der Schwarze Jura mit einem Anteil von etwa fünf Prozent Bitumen, eine klebrige Kohlenwasserstoff - Verbindung, aus der sich Öl gewinnen lässt. Tüftler versuchten schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch Verschwelung dem Schiefer sein Öl zu entziehen. Abbildung 1: Schieferölwerk Schömberg / Versuchsanlage der DÖLF Als die nationalsozialistischen Wirtschaftsplaner etwa ab dem Sommer 1943 sich mit fieberhafter Hektik um das Schieferöl bemühten, hatte dies in einer sich abzeichnenden Ölkrise seinen Grund: Einerseits musste – nach der Wende von Stalingrad – die Frontlinie Stück für Stück zurückgenommen werden; dadurch wurden ausländische Ölfelder weithin abgeschnitten. Als andererseits im Frühsommer 1944 mit Leuna und Pölitz die wichtigsten Hydrierwerke zu Zielen der alliierten Luftoffensive wurden, musste auch dafür Ersatz geschaffen werden. Immer noch träumte man ja von einem Endsieg in diesem Krieg, dessen Lebensnerv mit der Treibstoffrage getroffen war. Ein Traum freilich, der ein weiteres Mal für Tausende von Menschen zum Alptraum wurde. KZ-Häftlinge aus sieben Außenlagern des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof mussten unter mörderischen Bedingungen die Schieferölwerke zunächst aufbauen, um dann darin zu arbeiten. Die einzelnen Lager: Die wirtschaftliche Ausbeute blieb in mageren Ergebnissen stecken. Es gelang, ein Schieferöl zu erschwelen, das man in Dieselmotoren mit Glühkopf verwenden konnte. Dabei ergab im besten Fall ein Durchsatz von 31 Tonnen Gestein eine Tonne Schieferöl. Andere Ergebnisse lagen bei einem Verhältnis von 96 Tonnen Gestein zu einer Tonne Schieferöl. Auf der anderen Seite steht die Bilanz an menschlichen Opfern. Die Zahlen sind auch in ihrem lückenhaften Zustand viel zu hoch: 529 sind im Sterberegister von Schörzingen verzeichnet, in Bisingen kann von 1178 Todesopfern ausgegangen werden, in Schömberg von über 1770 (Tote der Lager Dautmergen und Schömberg). Oftmals wurden Häftlinge im allerletzten Schwächezustand noch einmal auf Krankentransport in die Lager Vaihingen/Enz bzw. Bergen Belsen geschickt. Und wenn sienicht unterwegs schon starben, dann kamen sie vielleicht in diesen »Sterbelagern« um. So ergibt sich bei näherem Hinsehen am Ende eine wesentlich höhere Zahl an Todesopfern. Abbildung 2: Übersichtskarte " Unternehmen Wüste " - Lager , Schieferölwerke, Gedenkstätten DAS UNTERNEHMEN „WÜSTE“ UND SEINE VORLÄUFER Das südwürttembergische Schieferölprogramm erfolgte in zwei Abschnitten. In einer ersten Phase wurden ab dem Spätherbst 1943 in drei Werken dreierlei Verfahren zur Schieferölgewinnung erprobt und auf den Weg gebracht:
Diese Werke sollten zu einem späteren Zeitpunkt in das „Unternehmen Wüste“ als Werke 11, 12 und 13 eingegliedert werden.
Rekonstruktion des Werkes WÜSTE 10 (Eckerwald) DAS UNTERNEHMEN WÜSTE - Organisation und Zuständigkeiten
DIE SIEBEN KONZENTRATIONSLAGER - und wo die Häftlinge herkamen Die sieben Lager gehörten zu den letzten KZs, die das nationalsozialistische Terrorsystem errichtete. Das Lager Dormettingen wurde im Januar 1945 zu einem Zeitpunkt erstellt, als Auschwitz kurz vor der Befreiung stand. Anfang April, also nach drei Monaten wurde es evakuiert. Zwei Wochen später standen alle sieben Lager leer. Für die Gefangenen allerdings endete die Zeit ihrer KZ-Haft mit den mörderischen Evakuierungsmärschen zwischen dem 17. und dem 28. April 1945. Diese Lager waren keine Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka, sie hatten nicht die Größe von Dachau oder Buchenwald. Und doch starben dort, „vernichtet durch Arbeit“, an Krankheiten und Seuchen zugrunde gegangen, aber auch willkürlich hingemordet, Tausende von Menschen, herbeigekarrt aus fast allen Ländern Europas. Die Verhältnisse waren in allen Lagern unmenschlich. Dennoch ergibt sich aus den Zeugenberichten ein differenziertes Bild. Das hing einerseits von äußeren Bedingungen ab, von der Einrichtung des Lagers etc. Andererseits gab es auch, was die Lagerführungen anbelangt, ziemliche Unterschiede. Abbildung 5: Originalaufnahme aus dem KZ Schömberg Die ersten drei Lager entstanden im Zusammenhang mit den drei Versuchsanlagen: Schömberg, Frommern und Schörzingen. Belegt wurden sie mit Häftlingen aus dem Stammlager Natzweiler-Struthof. Im Mai 1944 begann die SS-Firma „Deutsche Schieferöl GmbH“ im Gewann Bronnhaupten bei Erzingen mit dem Bau ihres Schieferölwerkes, das später ins Unternehmen WÜSTE eingegliedert wurde. Parallel dazu wurde das KZ Erzingen errichtet. Im Zusammenhang mit dem Unternehmen WÜSTE entstanden im Spätsommer 1944 zwei größere Lager mit Belegzahlen zwischen 1500 (Bisingen) und bis zu 3000 (Dautmergen). Woher kamen die Häftlinge ? Die ersten Lagerbesatzungen wurden aus dem Stammlager in die Wüste-Lager überstellt: Männer, die an Widerstandsaktionen beteiligt waren, vor allem aus Frankreich, den Benelux-Staaten, Norwegen und Deutschland.Weiterhin kamen Häftlinge aus den Ölschieferanlagen in Estland. Zwei größere Transporte aus dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig brachten litauische und polnische Juden.Den größten Anteil bildeten Polen. Etwa die Hälfte dieser polnischen Gefangenen war Ende August 1944 während des Warschauer Aufstands durch die polnische Heimatarmee (Armia Krajowa) in die Konzentrationslager verschleppt worden. Eine weitere größere Häftlingsgruppe bestand aus sowjetischen Kriegsgefangenen, die in Nazi-Deutschland unter Missachtung der Genfer Konvention in Konzentrationslager gesperrt wurden.Aus fast allen Ländern des besetzten Europa kamen Gefangene in die Wüste-Lager, Widerstandskämpfer, die in irgendeiner Weise für die Freiheit gekämpft hatten. Die Häftlinge bildeten alles andere als eine homogene Gruppe. Gemäß der rassistischen NS-Ideologie standen ganz unten in der Häftlingshierarchie Juden und Zigeuner. Angehörigen slawischer Völker, also Polen zum Beispiel, wurde die ausschließliche Funktion des Dienens für die „Herrenrasse“ zugeordnet. Dabei waren der rücksichtslosen Ausbeutbarkeit keine Grenzen gesetzt. Noch schlimmer als den Polen erging es den russischen Kriegsgefangenen.
Spielzeug mit Vögeln, Schnitzarbeit aus dem KZ Schörzingen DAS
LAGER SCHÖRZINGEN CHRONIK
DES LAGERS
Verhältnisse Vor allem mit Beginn des Außenkommandos Zepfenhan verschlechterten sich die Verhältnisse im Lager Schörzingen ab September 1944 drastisch: Die Dauerbelegung mit durchschnittlich knapp 1000 Häftlingen überforderte das Fassungsvermögen des Lagers: Zu dritt, zu viert nächtigten die Häftlinge in ihren nassen, dreckigen Zebraanzügen auf den Schlafpritschen, auf Bänken, Tischen, in jedem freien Winkel, selbst in den Aborten. Völlig unzureichend waren die sanitären Einrichtungen. Die Häftlinge konnten sich nicht mehr sauber halten. Das Essen war miserabel. Über die tägliche Ration berichtet der ehemalige luxemburgische Häftling Leon Donven: „Von Anfang an kannten die Männer vor allem ein Problem, den Hunger. Sie gaben uns in den besten Tagen des Lagers 200 Gramm Brot, ein bisschen Marmelade, einen Teller Steckrübensuppe.“ Appelle Der Monat hatte 31 Arbeitstage. Jeder Tag begann mit Appellstehen, und so endete er auch wieder. Abzählen, Einteilen in die verschiedenen Kommandos. Die Toten wurden vorne hingelegt und mitgezählt. Die Buchführung musste stimmen. Eine Schikane bestand darin, dass man die Häftlinge gelegentlich stundenlang stehen ließ. Zum Beispiel bei Fluchtversuchen. Fluchtversuche Wenn ein flüchtiger Häftling eingefangen wurde, so bedeutete das den sicheren Tod. Formal korrekt geschah dies folgendermaßen: Die Lagerleitung musste Anzeige erstatten bei der Abteilung D des SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamtes in Berlin. Von dort kam dann der Befehl zur Hinrichtung. Eine solche Anordnung lag offenbar im Falle von zwei flüchtigen russischen Kriegsgefangenen vor, die kurz vor Weihnachten 1944 im Lager Schörzingen erhängt wurden. Alle übrigen 28 eingefangenen Flüchtlinge wurden ohne Todesurteil – meist auf bestialische Weise – so umgebracht. Zwei Häftlingen gelang die Flucht in die Schweiz. Abbildung 6: Block 2 des ehemaligen Lagers Schörzingen (Im Hintergrund das Krankenrevier (Aufnahme 1957) SS und Lagerselbstverwaltung Das Lager Schörzingen wurde von etwa 50 SS-Männern verwaltet und bewacht. Dabei muss unterschieden werden zwischen Lagerführung und den Wachmannschaften. Letztere hatten die Aufgabe, das Lager von außen zu beaufsichtigen, aber auch die Arbeitskommandos auf die Baustellen zu begleiten. Sie standen unter dem besonderen Befehl eines Postenführers. Die Lagerführung lag in der Hand des SS-Rottenführers Oehler, der nach übereinstimmenden Zeugenberichten sein Lager ohne Führungsqualitäten, dafür mit Sadismus und Terror regierte. Wie in allen Konzentrationslagern gab es auch in Schörzingen eine Häftlings-Selbstverwaltung, hierarchisch geordnet: Lagerältester, Blockältester, Stubenältester. Der Lagerälteste Telschow trug den grünen Winkel („Berufsverbrecher“). Auch er hat sich vor allem durch Sadismus und Terror ins Gedächtnis der Häftlinge eingeprägt. Sowohl Oehler als auch Telschow wurden im Rastätter Kriegsverbrecher-Prozess 1947 zum Tod verurteilt. Während jedoch der Kapo tatsächlich hingerichtet wurde, begnadigte man den Lagerführer, der schließlich mit zwölf Jahren Gefängnis davon kam. DAS AUSSENKOMMANDO ZEPFENHAN (ECKERWALD) Abbildung 7: Lageplan Schörzingen /Eckerwald Der Weg, den die Häftlinge des Außenkommandos Zepfenhan vom Lager zur Baustelle des Werkes WÜSTE 10 täglich hin und zurück gehen mussten: Anfangs vier Kilometer durch den Ort; spätere Abkürzung: 2,5 Kilomerter (unterbrochene Linie). Leon Donven gehörte nicht zum Außenkommando Zepfenhan, aber er berichtet: „Frühmorgens, zwischen fünf und sechs, zog das Kommando nach dem Appell auf die Schieferfelder bei Zepfenhan und die Baustelle beim Eckerwald. Abends oder nachts kamen die Männer völlig erschöpft, über und über verdreckt, ins Lager. Es war ein entsetzliches Bild.“ Der Weg vom Lager zur Baustelle war vier Kilometer lang. Vier Kilometer morgens zwischen fünf und sechs, und vier Kilometer am Abend wieder zurück. Dazwischen zwölf Stunden körperliche Schwerarbeit. Graben und Schleppen von allen möglichen Lasten. Breite Erdnischen wurden in den lehmigen Hang hineingegraben, in welchen die Fundamente für die Metallkonstruktionen der Anlagen hochgemauert wurden: Für Rohrleitungen, Tanks, Zentrifugen und Pumpen, für die elektrische Gasreinigung, für die Verbrennungsanlagen. Die Arbeitsbedingungen waren im wahrsten Sinne menschenvernichtend. Bedingt durch die Regenfälle wurde aus der Baustelle ein Lehmsumpf. Bis zu den Hüften im Dreck steckend musste geschuftet werden, angetrieben von den Bewachern der SS und den Aufsehern der Organisation Todt. Zwei bis drei Tote gab es im Durchschnitt täglich. Auf einer Bahre wurden die Toten von ihren Häftlingskameraden am Abend zu den Massengräbern beim Lager geschleppt.
CHRONIK DES LAGERS DAUTMERGEN
Eingang des Lagers Dautmergen, Hintergrund: Krankenbaracke EVAKUIERUNG DER LAGER („Todesmärsche“) Wie in fast allen Konzentrationslagern des „Dritten Reiches“ lautet auch bei den Wüste-Lagern das letzte Kapitel „Todesmärsche“. Es sind die tage- und zum Teil wochenlangen Gewaltmärsche, auf denen am Ende die Restbesatzungen unter mörderischen Bedingungen aus den Lagern in rückwärtiges Gebiet geführt werden.Daniel Blatman, der über die Todesmärsche von 1944/45 eine umfangreiche und umfassend recherchierte Arbeit vorgelegt hat, spricht vom letzten Kapitel des nationalsozialistischen Massenmordes. In den Wüste-Lagern begannen die Evakuierungsmaßnahmen in der ersten April-Hälfte 1945. Als im April 1945 die erste französische Armee bei Straßburg den Rhein überquerte und in der Folge den Schwarzwald besetzte, war klar: Das Unternehmen Wüste war gescheitert, die Lager mussten geräumt werden. Zunächst wurden Transporte mit der Bahn nach Dachau-Allach zusammengestellt. Die Lager Erzingen und Dormettingen wurden auf diese Weise nahezu komplett evakuiert, aber auch Kranke und Gehunfähige der anderen Lager nahmen an diesen Transporten teil; der letzte große mit zwölf Waggons verließ den Bahnhof Schömberg am 14. April nach Dachau-Allach. Für die verbliebenen etwa 2000 Wüstelager-Häftlinge begannen am 17. und 18. April die sogenannten Todesmärsche. Dabei wurden zunächst die Häftlinge des Lagers Bisingen anderen Lagern zugeteilt, vor allem dem Konzentrationslager Spaichingen, das eigentlich gar nicht zu den Wüstelagern gehörte. Die wenigen verbliebenen Häftlinge des Lagers Frommern kamen nach Schömberg. Die Marschkolonnen aus den Lagern Schömberg, Schörzingen und Dautmergen nahmen zunächst - zeitlich versetzt - alle denselben Weg über Deilingen, Wehingen, Reichenbach, Egesheim, Bärenthal nach Beuron, und weiter über einen Höhenrücken bis nach Messkirch. Die Route der Kolonnen aus dem Lager Spaichingen, denen auch Häftlinge aus dem Wüste-Lager Bisingen zugeordnet waren, lässt sich aufgrund der Zeugenaussagen nicht eindeutig verfolgen. Wahrscheinlich ging der Weg über Tuttlingen und Mühlheim an der Donau nach Messkirch. Ab Messkirch und Pfullendorf wird das Geflecht der Marschrouten unübersichtlicher. Die Schörzinger peilten ab Pfullendorf das Dachauer Außenlager Überlingen an, erreichten dies jedoch aufgrund des Frontverlaufs nicht mehr, sodass sie umkehren mussten und in Richtung Ostrach weitermarschierten, wo sie am Vormittag des 22. April ankamen und in zwei Feldscheunen einquartiert wurden. Am Nachmittag wurden sie noch einmal auf der Ortsstraße zu einem Apell zusammengetrieben. Einzelne versuchten zu fliehen, worauf die SS ballerte. Durch das mutige Eingreifen der Frauen von Ostrach verließen die SS-Leute schließlich die Szene, und damit waren die Häftlinge frei. Die weiteste Distanz von über 300 Kilometern hatten Häftlinge des Lagers Schömberg durchzustehen. Über Füssen, Reutte, Plansee, Garmisch-Partenkirchen und Mittenwald ging es bis an die österreichische Grenze bei Scharnitz. Kolonnen aus dem Lager Dautmergen erreichten, sofern sie sich nicht schon unterwegs aufgelöst hatten, nach einem etwa einwöchigen Marsch Altshausen, jene aus dem Lager Spaichingen gelangten bis in die Gegend von Füssen. Marschiert wurde normalerweise nachts, tagsüber lagerten sie irgendwo in den Wäldern oder, wenn vorhanden, in Schuppen. Es gab kaum Essen, so dass der Marsch für die durch die Zeit ihrer Gefangenschaft ohnehin schon völlig geschwächten Häftlinge zu einer letzten Tortur wurde, die viele nicht überlebten. © Gerhard Lempp, 2012 Recherchen >> Einweihung der beiden Namenstafeln und des Totengedenkbuchs
mit Blick auf Eugen Wurth. |